WIEDERVERWERTEN STATT WEGWERFEN PILOTPROJEKT „THE CRADLE“, Düsseldorf
Kreislaufgerechtes Bauen soll zum Standard werden und dafür schon bald gesetzlich fixiert sein. Architekten und Projektentwickler sind daher gut beraten, sich bereits jetzt intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. So wie das Düsseldorfer Büro HPP, das mit dem Holzhybridbau „The Cradle“ der Frage nachgeht, wie die Transformation von der Linear- hin zur Kreislaufwirtschaft gelingen kann.

Gebäude als Rohstofflager
Als der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanische Architekt William McDonough Ende der 1990er-Jahre den Begriff „Cradle-to-Cradle“ (C2C; dt: „von Wiege zu Wiege“) prägten, steckte die Nachhaltigkeitsbewegung noch in den Kinderschuhen. Umweltfragen nahmen in den Medien langsam an Fahrt auf, progressive Unternehmer integrierten Corporate-Social-Responsibility- Kriterien (CSR) in ihre Geschäftsmodelle und mit dem Kyoto-Protokoll war 1997 erstmals ein internationales Abkommen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen verabschiedet worden: Das Thema Kreislaufwirtschaft jedoch entzog sich weitgehend der öffentlichen Wahrnehmung.
Heute, rund ein Vierteljahrhundert später, lässt sich Braungarts und McDonoughs Ansatz zweifellos als Wegbereiter eines Diskurses begreifen, der sich entlang der gesamten Gesellschaft vollzieht – speziell aber auch im Bereich des Bauens. In der Annahme, dass jedem Ende ein Anfang innewohnt, sind Produkte und Materialien gemäß dem Cradle-to-Cradle-Prinzip so herzustellen und zu nutzen, dass sie später vollständig in biologische Kreisläufe zurückgeführt oder dauerhaft in technischen Kreisläufen gehalten werden können.
Für Gebäude bedeutet das: Baustoffe, Bauteile und Bausysteme müssen so beschaffen sein, dass sie sich komplett ökologisch abbauen oder wieder und wieder demontieren, verwenden und verwerten lassen. Es bedarf neuer Planungsansätze und sortenreiner Konstruktionsmethoden, weil sich die biologischen und technischen Kreisläufe nicht vermischen dürfen. Und nicht zuletzt benötigen wir eine ästhetische Haltung, die sich an entsprechenden Maßstäben orientiert und darüber eine breite Akzeptanz und Nachfrage für das kreislaufgerechte Bauen schafft.

Digitalisierung als Schlüsselfaktor
Ob der Paradigmenwechsel in der Praxis gelingt, wird darüber hinaus maßgeblich vom Einsatz digitaler Technologien abhängen, die als Schlüsselfaktoren des nachhaltigen Bauens gelten. Mittels Building Information Modeling (BIM) lassen sich schon heute Lebenszyklusbetrachtungen im virtuellen 3D-Modell simulieren und so bereits im architektonischen Planungsprozess berücksichtigen. Schnittstellen mit anderen digitalen Anwendungen ermöglichen datenbasierte Auswertungen ökologischer Folgewirkungen, etwa hinsichtlich des CO2-Fußabdrucks und der Kreislaufpotenziale von Ressourcen und Materialien.
Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den sogenannten Circularity-Passports zu. Ihre Aufgabe ist es, verbaute Materialien, Bauteile und Komponenten systematisch zu dokumentieren – da Gebäude nur dann als Rohstofflager dienen können, wenn klar ist, was sie zu bieten haben. Mit der Madaster-Plattform hat sich inzwischen eine globale Online-Bibliothek etabliert, die Informationen aus verschiedenen Gebäuderessourcen- und Materialpässen vereinheitlicht darstellt und öffentlich zugänglich macht. Die Datenbank unterstützt nicht nur bei der Ermittlung verbauter Materialmengen, sondern auch bei der Bestimmung von Immobilienwerten und Rohstoffrestwerten im Rückbaufall, indem sie produkt- und gebäudespezifische Informationen qualitativ verdichtet; beispielsweise Angaben über bauphysikalische Eigenschaften, die Trennbarkeit und Toxizität von Baustoffen sowie das darin gebundene CO2.

The Cradle“ als Benchmark
Als deutschlandweit erstes Projekt wurde „The Cradle“ auf der Madaster-Plattform registriert. Mit dem sechsstöckigen Holzhybridbau schufen HPP Architekten und der Bauherr The Cradle GmbH & Co. KG ein Bürogebäude nach C2C-Kriterien, das nach rund vierjähriger Realisierungszeit im November 2023 im Düsseldorfer Medienhafen fertiggestellt wurde. Gestalterischen Ausdruck findet das Cradle-to-Cradle-Prinzip hier vor allem in der integralen Fassade aus massivem Lärchen-Schichtholz. Die rautenförmige Konstruktion aus v-förmig angeordneten, diagonalen Stützen fungiert als außenliegendes Tragwerk, erfüllt unter anderem aber auch eine Verschattungsfunktion. Entwickelt wurde sie im 3D-Modell gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Knippershelbig und dem Energieplaner Transsolar. Für die Ausführung zeichnete die Firma Derix verantwortlich, die sich in Form einer Rücknahmevereinbarung obendrein dazu verpflichtete, die Holzelemente am Ende ihres Lebenszyklus wieder zurückzunehmen.
Ob es tatsächlich zu einer Demontage der Elemente kommen wird, bleibt abzuwarten. Gesichert hingegen ist, dass durch den Einbau von rund 2.300 Kubikmetern Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft rund 1.900 Tonnen CO2 eingespart werden konnten, also verglichen mit einer herkömmlichen Bauweise circa 50 Prozent weniger schädliche Treibhausgasemissionen anfielen.
R-Beton für Gebäudekern und Decken
Der zirkuläre Gedanke geht aber noch weiter: Alle eingesetzten Baustoffe wurden vorab durch die Fachplaner der EPEA GmbH auf Kriterien wie Materialgesundheit, Sortenreinheit und Trennbarkeit geprüft. Für den Gebäudekern und die Decken wurde R-Beton verwendet, der definitionsgemäß zu 25 bis 45 Prozent aus recycelten Gebäude-Abbruchmaterialien besteht. Dort, wo der Einsatz von R-Beton nicht sinnvoll oder zulässig war, achteten Architekt und Projektentwickler darauf, dass sich der eingebrachte Primärbeton für künftige Wiederverwendungen eignet, indem sie in der Ausführung etwa auf giftige Hilfs- und Zusatzstoffe verzichteten. Anders als bei der Holzfassade ging es dabei weniger um einen positiven CO2-Fußabdruck als vielmehr um einen positiven Materialfußabdruck. Denn: „Im Hinblick auf unseren Umgang mit den Ressourcen Sand und Kies, die endlich sind, müssen wir den Zirkularitätsgedanken beim Beton grundsätzlich stärker berücksichtigen“, sagt Antonino Vultaggio, der Projektverantwortliche bei HPP.
Circular Thinking ist unter anderem auch in den Bädern Programm. Hier kommen Lösungen von GROHE zum Einsatz, die den Cradle-to-Cradle Certified®-Produktionsstandard in Gold erfüllen. Die Zertifizierung wird von der Non-Profit-Organisation „Cradle To Cradle Products“ vergeben, die Braungart und McDonough basierend auf ihrem theoretischen Ansatz 2012 selbst gegründet haben. C2C-Produkte mit dem Goldstandard bestehen aus gesundheitlich unbedenklichen Stoffen und Materialien, die zu mindestens 50 Prozent wiederverwertbar sind und deren Produktionsenergie zu mindestens 50 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt. Außerdem garantieren sie eine besonders effiziente Wassernutzung und soziale Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette.

Politische Weichen gestellt
Nachhaltigkeitszertifikate und gebäudespezifische Daten, wie sie „The Cradle“ bereitstellt, dürften künftig weiter an Bedeutung gewinnen, weil bereits jetzt erkennbar ist, dass entsprechende Informationen den Immobilienwert positiv beeinflussen. Darauf etwa deutet der aktuelle Index der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) hin: Mehr als die Hälfte der insgesamt rund 4.000 befragten Immobilienexperten berichten gerade in Europa von einem stark zunehmenden Interesse an „grünen“ Immobilien.
Wesentlichster Impulsgeber für das zirkuläre Bauen ist allerdings die Politik: Bis 2050 will die Europäische Union klimaneutral sein und dafür vollständig in die Kreislaufwirtschaft einsteigen, so sieht es der beschlossene „Green Deal“ vor. Das Bundesumweltministerium hat in diesem Zusammenhang kürzlich die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) für Deutschland vorgestellt, die bis Ende 2024 verabschiedet werden soll.
Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „Kreislaufgerechtes Bauen“ ist also allein deshalb sinnvoll, weil es über kurz oder lang gesetzlich fixiert sein wird.
PILOTPROJEKT „THE CRADLE“
» Was können wir tun, um das Architektur-Business an die drängenden Probleme unserer Zeit anzupassen, um nachhaltig und kreislauffähig zu bauen?«
Antonino Vultaggio, Gesellschafter HPP Architekten GmbH
Objektdaten
- Objekt „The Cradle“, Düsseldorf
- Auftraggeber The Cradle GmbH & Co. KG, Leverkusen
- Architekt HPP Architekten GmbH, Düsseldorf
- Fachplanung knippershelbig GmbH, Stuttgart; EPEA GMBH – Part of Drees & Sommer, Hamburg; bähr ingenieure gmbh, Köln; Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart; nees Ingenieure GmbH, Münster; Drees & Sommer Advanced Building Technologies GmbH, Köln
- Ausführende Firma Derix GmbH & Co., Niederkrüchten
- Bruttogrundfläche 11.400 m²
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