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Sebastian van Damme

Die Zukunft liegt im Bestand Schwerpunkt Revitalisierung

Der Gebäudesektor verantwortet in Deutschland rund 40 Prozent aller CO₂-Emissionen, während das Baugewerbe zugleich etwa 90 Prozent der mineralischen Rohstoffe verbraucht. Demgegenüber steht ein riesiges Potenzial: unser Gebäudebestand.

 

Leerstände, brachliegende Areale, unter- und ungenutzte Gewerbeimmobilien – sie alle bieten Raum für neue Ideen und Konzepte. Die Weiterentwicklung unserer Städte darf jedoch nicht allein von Effizienzkennzahlen getrieben sein. Viel zu lange etwa standen Sanierungen unter dem alleinigen Primat der Betriebsenergieeinsparung. Dabei gerieten Aspekte wie Langlebigkeit, Materialkreisläufe, Nutzerverhalten oder der gestalterische Wert aus dem Blick.

Das Ergebnis: effiziente, aber oft gesichtslose Architektur.

Das Foto zeigt die Stadswerf Oostenburg in Amsterdam, die zu einem modernen Stadtquartier umfunktioniert wird. Sebastian van Damme

Von der „grauen“ zur „goldenen“ Energie

Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Bestand zeichnet sich hingegen durch die Verbindung von Funktion, Nachhaltigkeit und Gestaltung aus. Einerseits geht es darum, „graue Energie“ – also CO₂-Emissionen, die in Bauprozesse und Materialien investiert wurden – weiter zu nutzen. Andererseits geht es aber auch um den Erhalt immaterieller, kultureller Werte wie Gestaltungsideen, Erinnerungen, Identität und Schaffenskraft, die die Bundesstiftung Baukultur analog dazu als „goldene Energie“ bezeichnet.

Konkrete Zahlen belegen, dass die Bestandsentwicklung eine der größten Aufgaben für Planende und Bau- schaffende darstellt: Laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) standen in Deutschland im Jahr 2022 rund 1,9 Millionen Wohneinheiten leer. Gleichzeitig berichtete die Hans-Böckler-Stiftung darüber, dass es in deutschen Großstädten in ähnlicher Dimension an günstigen Wohnungen mangelt. Der scheinbare Widerspruch lässt sich teilweise durch regionale Unterschiede erklären: Während es vor allem in ländlichen oder strukturschwachen Gebieten Leerstand gibt, herrscht in Ballungszentren eine große Nachfrage. Andernteils entspricht der vorhandene Wohnraum mit Blick auf Größe, Lage und Funktionalität oft nicht den aktuellen Bedürfnissen – in besonderem Maße mangelt es an Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte.

Neue Raumstrategien

Revitalisieren bedeutet deshalb vor allem Umbaukultur. Unser Bestand bietet vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten – etwa durch Aufstockungen, Anbauten, Umnutzungen, das Schließen von Baulücken und die Konversion bestehender Areale. Um die Potenziale zu heben, bedarf es grundlegender Raumstrategien gerade dort, wo das gesellschaftliche Zusammenleben durch Wohnraumknappheit, steigende Bevölkerungszahlen, hohe Verkehrsaufkommen und starke Flächenversieglung immer mehr unter Druck gerät. Es ist es sinnvoll, entsprechende Aspekte dort nicht erst auf Gebäudeebene zu berücksichtigen, sondern in übergeordnetem Maßstab bereits in der Planung ganzer Stadtquartiere. Im Fokus stehen dabei nicht allein Funktionalität und Gestaltung, sondern auch Themen wie Klimaresilienz, Aufenthaltsqualität und Gesundheit.

Folgerichtig bemühen sich moderne Leitbilder der Stadtentwicklung, Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeit zu kombinieren: Multifunktionale Quartiere sollen eine Abkehr von monostrukturellen Bürovierteln und Großsiedlungen darstellen, wie sie in Deutschland vor allem seit den 1960er-Jahren entstanden sind.

Haltungsfrage auch auf Materialebene

Revitalisierung erfordert daher in vielerlei Hinsicht einen bewussten Umgang mit Raum, Ressourcen und Verantwortung: Auch vor dem Hintergrund, dass bestehende Gebäude und Infrastrukturen riesige anthropogene Lager darstellen, die pro Bundesbürger durchschnittlich 360 Tonnen Material bereithalten. Dank digitaler Tools wie Building Information Modeling (BIM), Gebäuderessourcenpässen und IoT-Sensoren werden sich diese Potenziale künftig besser identifizieren und nutzen lassen.

Ob wir diese Chance ergreifen, entscheidet sich jedoch nicht allein an der Technik, sondern ebenso an klaren Rahmenbedingungen, wirtschaftlichen Anreizen und der Bereitschaft, unsere gewohnten Denk- und Bauweisen grundlegend zu hinterfragen.

Sebastian van Damme

Revitalisierung mit Vorbildcharakter Stadswerf Oostenburg, Amsterdam

Oostenburg, einst Werft der Ostindien-Kompanie und später Industriestandort, wandelt sich bis 2027 zu einem offenen Stadtquartier: Rund drei Viertel des Projekts sind bereits realisiert.

 

Sebastian van Damme

Vom Hafen zur Heimat Stadswerf Oostenburg, Amsterdam

Die Wohnungsbaugesellschaft Stadgenoot entwickelte gemeinsam mit Urhahn und Studioninedots einen Masterplan mit 1.900 Wohnungen, 70.000 m² Gewerbe, viel öffentlichem Raum und erhaltenem Industriedenkmal. Ziel: ein offenes, gemischt genutztes Viertel mit hoher Lebensqualität.